Eine achtköpfige Delegation des Kolping Bildungswerk e.V. aus dem Main-Tauber-Kreis und dem Neckar-Odenwald-Kreis ist am 9. Juli nach Turin aufgebrochen, um sich darüber zu informieren wie Migration im italienischen Piemont erlebt und gelebt wird. Nach einer neunstündigen Anfahrt sind alle Teilnehmer*innen gut in Turin angekommen. Finanziert wurde die sechstägige Bildungsreise von Erasmus plus. Der Europäischen Union ist es ein wichtiges Anliegen die Förderung der europaweiten Zusammenarbeit in allen Bildungsbereichen voranzubringen. Auf dem Weg zu einem gemeinsamen europäischen Bildungsraum kommt dem Erasmus plus Programm eine Schlüsselrolle zu. Die Idee dabei ist ein lebenslanges Lernen zu fördern, nachhaltiges Wachstum zu ermöglichen, sozialen Zusammenhalt und die europäische Identität zu stärken, sowie Innovationen voranzutreiben. Im Zentrum des Programmes stand das Thema Migration.
Ziel unserer Reise war somit Strukturen und Verwaltung rund um das Thema Migration unseres Nachbarlandes Italien kennenzulernen. Gleichzeitig sollte ein Einblick auf die operative Ebene gewonnen werden. Das „italienische Kolping“, genannt ENAIP hat zusammen mit Eberhard Vollmer, dem Initiator der Reise, ein fantastisches Erasmus plus Programm entwickelt, das uns tiefe Einblicke in Denken und Handeln unseres europäischen Nachbarlandes ermöglicht hat. Am Montag begann dann das offizielle Programm. Um 10:00 Uhr war ein Termin beim der Präfektur in Turin angesetzt. Eine Mitarbeiterin von ENAIP, Chiara, hat uns dazu stilgerecht mit einem Vespa Roller von unserem Hotel abgeholt und durch die wunderschöne Innenstadt bis zur Präfektur eskortiert. Der Präfekt in der Regional Hauptstadt Turin nimmt eine Mittelrolle ein zwischen der nationalen und der regionalen Regierung. Die Präfekten tragen die oberste Verantwortung für die öffentliche Sicherheit und Ordnung in den Provinzen und auch die Auftragsverwaltung der Gemeinden unterliegt der Aufsicht des Präfekten. Somit die ideale Anlaufstelle, um Themen zur Migrationspolitik in Italien, der Migrationssituation in Italien und speziell im Piemont, sowie Fragen zum Aufnahmesystem und zu territorialen Netzwerken in der Region zu stellen. Der für die Abteilung Einwanderung zuständige stellvertretende Präfekt Dr. Gianfranco Parente und seine Mitarbeiterin Sara Belleni Morante nahmen sich Zeit zu Inormation und Austausch. Erstmals konnten wir dabei in die Schönheit und Rätsel der italienischen Sprache eintauchen. Leider verfügten nicht alle Reiseteilnehmer*innen über erweiterte Kenntnisse dieser Sprache. Wie sich im weiteren Verlauf unseres Aufenthaltes jedoch herausstellen sollte, war es mit englisch, französisch, spanisch oder auch deutsch immer möglich, neben dem Italienisch, eine Verständigung zu erzielen. Auch das war eine tolle Erkenntnis dieser Reise aber dazu später mehr.
Am Nachmittag ging es dann um 14:30 Uhr weiter mit unserem Erasmus plus Projekt „Training the Trainers of Adult Migrants“ (TTAM) bei ENAIP Piemonte zur vertiefenden Betrachtung in Sachen beruflicher Orientierung Erwachsener, zur formalen und informalen Zertifizierung von Kompetenzen und der Eingliederung in den Arbeitsmarkt. Interessant war es dabei festzustellen, dass diese Zertifizierung von Kompetenzen sowohl bei Arbeitgebenden anerkannt werden als auch für eine folgende Ausbildung herangezogen werden können. Eine Besonderheit in Italien, die uns aus Deutschland nicht bekannt ist. Am Dienstag stand dann ein Besuch der Regione Piemonte an. Diese ist in einem sehr modernen Wolkenkratzer, etwas außerhalb des Stadtkerns von Turin, untergebracht. Das beeindruckende Gebäude wurde erst neu errichtet und verfügt über 44 Stockwerke. Dort haben wir uns zu politischen Maßnahmen zur Schaffung von Chancengleichheit und Inklusion informieren lassen, Entwürfe sozialer Innovation erfahren und zum Thema der aktiven Arbeitsmarktpolitik etliche Informationen sammeln können. Besonders hervorgehoben wurde ein neues Regierungsprogramm, das sich GOL nennt. Dabei wird geprüft, wie weit der Migrant von einer möglichen Eingliederung in den Arbeitsmarkt aktuell entfernt ist und wieviele Stunden Förderung er benötigt, um einer Beschäftigung nachgehen zu können. Nach dem interessanten Gespräch in großer Runde bekamen wir noch die Möglichkeit in die oberste Etage auf die Dachterrasse zu fahren um einen 360 Grad Blick über Turin und das Umland werfen zu können: atemberaubend!
Von dort aus ging es in das circa 120 Kilometer entfernte Borgomanero. Dort war das Ziel etwas über die kommunalen Organisationen von ENAIP und des Consorzio interkommunale del servizi sociali (CISS) zu erfahren. Dabei lernten wir Mitarbeiter des CISS in Domodossola kennen. Sie berichteten von ihrer Arbeit mit Migranten, insbesondere den unbegleiteten Minderjährigen. Später bekamen wir eine Vorstellung der Bildungsaktivitäten für Migranten von der ENAIP vor Ort und konnten viele nette Kolleg*innen kennenlernen, die sich alle viel Zeit genommen haben für unseren Besuch. Es schloss sich ein reger Austausch über die Situation in Italien verglichen mit der Situation in Deutschland an. Am Folgetag wurden wir wärmstens empfangen von den Kollegen und Kolleginnen des ENAIP Borgomanero und erhielten die Gelegenheit eine Rechtsanwältin kennenzulernen, die sich mit Kursen für Ausländer und Chancengleichheit beschäftigt. Ein ehrenamtlicher Betreuer eines Frauenhauses, in dem für uns überraschenderweise allerdings auch Männer untergebracht waren, lernten wir ebenso kennen wie eine Ehrenamtliche aus der Gemeinschaft Sant Egidio, die Italienischkurse anbietet und ausschließlich von freiwilligen Betrieben wird. Auffällig war, dass es in Italien nach wie vor ein sehr großes ehrenamtliches Engagement gibt, auch wenn dieses -so haben wir erfahren- nachlässt. Auch eine Referentin für Sozialhilfe des Konsortiums, das sich mit Ausländern befasst hat uns einiges berichtet, verschiedene Lehrkräfte und Tutoren waren ebenso anwesend wie ein Case Manager, der sich in der Arbeitsverwaltung um die Eingliederung von Migranten in die Arbeitswelt kümmert. Interessant war es dabei einen Blick in eine Autowerkstatt für Auszubildende werfen zu können, einen kurzen Blick in eine Ausbildung der Kosmetikerinnen zu erhaschen und von Herausforderungen und Erfolgen der geleisteten Arbeit zu erfahren.
Am letzten Tag stand ein Besuch beim Bürgermeister von Borgomanero Sergio Bossi und seinem Vize Herrn Ignazio Stefano Zanetta. Borgomanero, im Übrigen Partnerstadt von Bad Mergentheim, erfüllt ähnliche Aufgaben im Bereich Migration wie es bei uns auf kommunaler Ebene geschieht. Darüber hinaus pflegt man eine fruchtbare Zusammenarbeit mit dem afrikanischen Staat Benin. Details darüber waren hochinteressant und haben die Frage aufgeworfen, ob so eine Kooperation für Kolping ebenfalls von Interesse sein könnte.
Viele neue Eindrücke konnten wir von dieser hoch informativen Reise mitnehmen. Das Ziel der Erasmus plus Bildungsreise wurde sicherlich erreicht. Ein Blick über den eigenen Tellerrand hin zu unserem europäischen Nachbarn hat alle Teilnehmenden geprägt. Dabei haben wir die Gelegenheit genutzt viele Kollegen und Kolleginnen aus der Region Piemont kennenzulernen und nachhaltige Kontakte zu knüpfen mit dem festen Versprechen einen Austausch von Erfahrungen und Informationen weiter zu pflegen. Selbstverständlich haben wir auch die neuen kennengelernten Amtsträger und Ehrenamtliche wärmstens zu uns ins Kolping Bildungszentrum eingeladen und würden uns sehr freuen, wenn diese Reise nicht zu Ende geht, sondern zu einem kollegialen- und vielleicht sogar freundschaftlichen Austausch beibehalten werden kann.